Ein Aufschrei gegen den Alltagssexismus

Kurz die Vorgeschichte zu diesem Beitrag: In den letzten Tagen kam es bei Twitter mal wieder zu einem so genannten Mem. Bei einem solchen Mem kocht im übertragen Sinn in kurzer Zeit ein Thema so richtig hoch. Hat es auch eine gesellschaftliche bzw. politische Relevanz, findet diese Mem auch in den Nachrichten einen Widerhall. Damit sich im Chaos der Twitter-Nachrichten (Tweets), die zueinander gehörenden Beiträge auch finden, gibt es bei einem Mem immer ein gemeinsames Schlagwort, dem bei Twitter dann immer ein so genanntes Hash-Zeichen (#) vorangestellt wird. Im Twitter-Slang heißt diese Schlagwort dann Hashtag. In diesem Fall war der Hashtag #aufschrei.

Aufschrei? Was für ein Aufschrei?

Der Aufschrei kam von Frauen, die einfach anfingen, sich den Alltagssexismus, den sie tagtäglich zu ertragen haben, von der Seele zu schreiben. In den meisten dieser Tweets ging es nicht um Vergewaltigung oder sonstige Gewalt. Es ging um den Kollegen, Chef, Lehrer, Professor, Mitreisenden, Passanten, der aus einer Position der Macht oder weil er sich schlichtweg unbeobachtet fühlte, anzüglich bzw. herabwürdigend wurde. Er verließ die Ebene der Würde und des Respekts.

Es ging darum, dass Menschen ihre Machtposition ausnutzen, um auf eine herabwürdigende Art ihren Willen zu bekommen oder ihn zumindest unmissverständlich klar zu machen. Wichtig ist dabei, dass diese Tweets nur in ihrer Summe das Problem wirklich gut beschreiben. Denn es geht nicht darum, dass Herr Brüderle sich einmal anzüglich über die Oberweite einer Journalistin äußerte. Es geht darum, dass dies beispielhaft ist. Beispielhaft für den allgegenwärtigen und immer drohenden Sexismus, dem vor allem Frauen ausgesetzt sind. Der Fall ist auch beispielhaft dafür, dass es um Macht geht. Denn auch wenn der Herr Brüderle gerne als Lachnummer durch die Medien geschleift wird, ist er ein Mann, der mit an der Spitze der deutschen Politik steht. Ich unterstelle mal: Er ist da hingekommen, weil er gute Nerven und erprobte Ellenbogen hat, und mit Sicherheit auch ein gutes Netzwerk. Es dürfte ihm ein Leichtes sein, eine journalistische Berufsanfängerin gegenüber ihren Chefs und Kollegen zu diskreditieren. Und da kommt ins Spiel, dass er Macht über sie hat. Aus dieser Position der Macht, der gefühlten Unantastbarkeit … zumindest für diese Frau … ist er es gewohnt, seine jovialen Witzchen machen zu können.

Diese Gewohnheit kennen viele Männer. Oft ist sie sogar geerbt, tausendfach erprobt und in der Regel ohne Folgen. Und wenn die Folge mal eine Ohrfeige ist, kann mann sie sich auch noch zu einer Trophäe schönreden. Oft ist er ja für die Frau unantastbar. Er sitzt am längeren Hebel, ist stärker, abgebrühter oder einfach machtvoller vernetzt.

In den Tweets der vergangenen Tage las ich auch viele Meinungsäußerungen, dass »die sich mal nicht so anstellen sollen« und »es wird doch noch erlaubt sein, mal eine Frau auf den Busen zu schauen.« Natürlich ist es nicht verboten, einer Frau auf den Busen zu schauen. Doch sollte mensch sich immer auch im Klaren sein, dass die eigenen Taten auch folgen haben. Actio und Reactio. Und hier ist jeder dieser Blicke ein kleiner Tropfen. Ein Tropfen, der vielleicht gerade ein Fass füllt oder gerade ein Selbstwertgefühl aushöhlt. Tropfen für Tropfen. Für einen solchen Blick muss mann erst mal ein Vertrauensverhältnis aufbauen, aus dem er dann die Gewissheit zu ziehen versuchen darf, diesen Blick zu wagen.

Wer sich nicht diese Mühe machen will, äußert gerne mal etwas wie: »Ist aber nur anerkennend gemeint.« Sorry, kommt aber nicht so an. Und es liegt vielleicht nicht mal an dir. Es liegt an den anderen unzähligen, kleinen Herabwürdigungen. Die Würde der Menschen wird im Klima der Altherrenwitze mit den Füßen getreten. Sorry, Jungs, aber so ist es nun mal.

8 Gedanken zu „Ein Aufschrei gegen den Alltagssexismus“

  1. Von allen Frauen und Männern, die so ein Fehlverhalten in der Öffentlichkeit bemerken, wünsche ich mir, dass sie den Verursacher, den sexistisch handelnden Menschen, so stellen, dass er die Chance hat, sein Gesicht zu wahren. Auch oder gerade weil es schwer fällt. Bei einer “nachhaltigen Gefährderansprache” beispielsweise ist es hilfreich, einen Zeugen im sichtbaren Hintergrund, doch außer Hörweite zu haben.Und im Zweifelsfall ist allein schon das gezielte Hinsehen entlarvend. Jedoch immer nach persönlichen Möglichkeiten.

  2. Was ich an der Debatte so interessant finde: Wenn früher eine Frau von einer Übergriffigkeit berichtete, hätte man ihr nicht geglaubt, man hätte sie nach Beweisen gefragt, ihr die Mitschuld gegeben und jedenfalls NIEMALS den Namen des Täters veröffentlicht. Der Fall Brüderle hat daher eine neue Qualität. Und die Debatte hat bereits andere Frauen ermutigt, an die Öffentlichkeit zu gehen und Namen zu nennen:
    http://deraufschrei.wordpress.com/2013/01/27/endlich-werden-die-tater-genannt/

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