Lediglich vier der 44 Kapitel des Buches Von der Kunst des Schreibens … und der spielerischen Freude, die Worte fließen zu lassen von Julia Cameron, habe ich damals wirklich gelesen. Damals, das war vor etwas mehr als zwei Jahren, als mir Natali das Buch geschenkt hatte. Ich hatte ihr zuvor erzählt, dass ich mir gut vorstellen könnte, am Schreiben Freude zu haben. Ich sollte noch erwähnen, dass das zweite Kapitel gerade mal eine halbe Seite lang und eigentlich auch kein richtiges Kapitel ist. Es ist ein Übungsaufgabe. Die Autorin forderte mich darin auf ins “kalte Wasser” zu springen und genau drei Blatt DIN-A4-Papier zur Hand zu nehmen. Darauf sollte ich einfach los schreiben. In dieser Sekunde und ohne vorher nachzudenken. Das habe ich dann auch sogleich getan.
Am vergangenen Wochenende sind mir dieses drei Blatt Papier beim Aufräumen wieder in die Hände gefallen und damit das nicht verloren geht, was ich damals einfach so runter schrieb, habe ich es soeben mal schnell abgetippt. Dabei kam mir in den Sinn, die Zeilen einfach mal hier einzustellen. Rau, unlektoriert und mit allen Ecken und Kanten.
Der kleine Mann kaufte sich das Fahrrad. Er brauchte sehr lange bis er sich endlich für dieses spezielle Rad entschieden hatte. Es war ein schönes Rad. Der Rahmen hat eine ganz besondere Lackierung. Es ist in einem leuchtenden Gelb lackiert, das durch die roten Streifen einen sehr verwegenen Eindruck macht. Welch’ eine Freude wird es sein, mit diesem Rad einen steilen Hügel herunter zu brausen. Die roten Streifen auf gelbem Grund werden den passierten Menschen nachhaltig in den Augen leuchten! Doch was die Lackierung nicht kaufentscheidend. Entscheidend waren die Erinnerung, die das Rad hervorbrachte. Er musste zwangsläufig an süssen … viel zu süssen Kakao denken. An Gulasch-Suppe an langen, kalten Winterabenden. An das grüne Telefon im Flur … natürlich mit Wählscheibe und kabelgebunden. An Pullunder, Nicki-Pulli, Pinocchio und Heidi. An Buddeln im Bach, der die Wiese hinterm Haus durchquerte, und an … ach, an so vieles. Natürlich auch an ein paar unangenehme Dinge. Oder doch nicht? Nein, eigentlich nicht. Warum war das so? Die gute alte Zeit! War sie wirklich so gut? Sicher nicht … nicht nur. Aber eben doch gut genug, um sich gerne daran zu erinnern.
Eine gute Erinnerung hatte ihn auch dazu bewogen, dieses rot-gelbe Rad auszuwählen. Er hatte nie selbst ein solches Modell. Er hatte ein kleines gelbes Rad. Zuerst mit Stützrädern. Die kamen aber bald ab. Denn er lernte schnell. Und wenn er an etwas Freude hatte, noch schneller. Und am Radfahren hatte er große Freude. Berge wurden schon damals in halsbrecherischer Manier heruntergesaust. Bremsen? Bremsen waren was für die die uncool waren. Und uncool war, wer entweder an langweiliges Rad hatte, oder wer ein langweiliger, d.h. hasenfüßiger Fahrer war. Er hatte ein langweiliges Rad, darum musste er eben ein mutiger … ein wagemutiger Höllenreiter sein. Im Sommer wie im Winter. Im Winter wurden die Räder im Schuppen ein- und die Schlitten ausgemottet. Auch hier musste er was wagen. Er hatte keinen schnellen roten Plastik-Bob-Schlitten. Er hatte den alten, kleinen Schlitten seiner Mutter. Mehrfach geschraubt und nicht sehr ansehnlich. Auch nicht schnell. Die Kufen waren einfach zu breit. Das weiß er heute. Damals war es einfach nur so. Auch wenn er mit den ersten Schneeflocken den Schlitten auf Vordermann gebracht hat. Kufen abschleifen und mit Speck einreiben. Die Kufen mussten glänzen und einfach nur schnell sein. Auch wenn es nur wenig brachte. Die anderen Jungs kannten die Tricks ebenfalls und da half es auf der Überholspur nichts, wenn man noch so toll präparierte Kufen hatte. Nur in einer Disziplin war er der ungekrönte König: Schlittenweitsprung. Irrsinnige Rampen wurden gebaut und dann gings drüber. Schlittenlängen waren das Mass und er war der Adler. Der Überflieger. Breite Kufen waren eben doch zu etwas nütze. So war der Wagemut sein treuer Begleiter. Sein bester Coolness-Berater. Wer ein langweiliges Fahrrad und einen Schlitten mit zu breiten Kufen hatte, musste einfach etwas zu bieten haben, was die Jungs mit roten Schlittenbobs und mit Bonanza-Rad nicht hatten. Und nun … als erwachsener, nicht mehr so wagemutiger mann, da musste er jetzt eben doch ein Bonanza-Rad sein … rot-gelb.
Dass ich das Buch übrigens nicht mehr weiter gelesen hatte, lag nicht an der Qualität des Buchs. Auch nicht daran, dass ich schon nach vier Kapiteln gemerkt habe, dass das Schreiben mir keinen Spaß machte. Im Gegenteil, diese vier Kapitel haben mir als Initialzündung vollkommen gereicht und seither schreibe ich mehr oder weniger regelmäßig. Aber dazu vielleicht ein andermal mehr.
Hammer! Gerade lese ich das hier: http://www.schreibwerkstatt.de/fingerubung-morgenseiten-t2585.html und dann Deinen Artikel! (gestern hatte mir jemand von den “Morgenseiten” erzählt, aber eher als psychologische Übung denn als Schreibtraining)
Das mit den Morgenseiten hört sich sehr interessant an. Und ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass das gut tun und gut klappen kann. Als ich meine Diplomarbeit geschrieben habe, habe ich es auch oft so gehalten, dann ich vom Bett über Bad an den Schreibtisch bin und erst einmal eine mindestens eine halbe Stunde geschrieben habe. Das Ergebnis war zumeist durchaus okay und ich habe so zudem auch immer ein besseren Einstieg für den Tag am Schreibtisch bekommen. Ein guter Prokrastinationskiller 😉
schöne geschichte.
und das buch wird ich mir auch mal bei gelegenheit mal anschauen.