In der Klinik prägte ich für mich den Spruch »Angst ist ein Arschloch«. Ja, und? Ist doch klar. Oder? Ich möchte gerne mal etwas genauer erläutern, was dieser Satz für mich bedeutet und warum er für mich so relevant ist.
Viele Angstpatienten und -patientinnen leiden unter Panikattacken. In ihren Angstsituationen bricht die Angst heftig und oft sogar vorhersehbar aus. Bei mir ist das nicht so, weshalb ich bei mir auch lieber von Angstattacken spreche. Und die sind oftmals Arschlöcher.
Sie knallen nicht raus, wie Panikattacken, sondern schleichen sich meist an. Als ich noch kein bzw. wenig Bewusstsein für sie hatte, gehörten sie ganz »normal« zu meinem Alltag. Versauten ihn mir regelmäßig. Ich verfiel dann meist in irgendwelche Rollen.
Wenn ich zum Beispiel eine Gruppensituation nicht mehr kontrollieren, also für jede beteiligte Person der perfekte Deckel für seinen Topf sein konnte, dann gab ich oft den Clown. Wenn ich mich einer Situation nicht aussetzen wollte, wurde ich oftmals krank oder überzeugte mich selbst davon, dass es besser ist, mich da herauszuziehen oder -zuhalten.
Meiner Angst kann ich nur entgegentreten, indem ich sie erst einmal zulasse. Sie nicht zu verneinen, sie nicht in mein Verhalten einzuarbeiten. Ich muss ein Bewusstsein für die Angst schaffen. Aus mir selbst heraustreten und die Angst entlarven.
Zum Glück kenne ich inzwischen die körperlichen Symptome und auch gewisse typische Verhaltensweisen. Körperlich äußert sich meine Angst oft in einem beklemmenden Gefühl, dessen Zentrum hinter dem Brustbein liegt, einer Übersäuerung meiner Muskulatur und dem ständigen Bedürfnis Luft aus meinem Körper herauszubekommen. Markante Verhaltensweisen sind unter anderem Rückzug und Kontaktscheuheit, sowie Ausleben von Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit; typisch depressives Verhalten eben.
Eine erste Maßnahme gegen den »Blues« kann dann sein, einfach mal ausgiebig ins Bad zu gehen. Mich gründlich zu Reinigen und ein bisschen Körperpflege zu betreiben. Und dann ist es wichtig, dass ich aus der Wohnung rauskomme. Spazieren gehen ist eigentlich immer eine gute Maßnahme, um den Kopf wieder frei zu bekommen und den Alltag wieder angehen zu können. Oder mich gezielt mit Menschen zu umgeben, vielleicht sogar über meine Angst zu reden. Hauptsache raus aus der Bude und der Isolation. Irgendwie in den »Flow« kommen; arbeiten, schreiben, kommunizieren … einfach etwas tun!
Manchmal bin ich nach einem Tag mit einer Angstattacke körperlich so erschöpft, wie nach einem Tag auf der Baustelle. Es kostet so viel Kraft, Angst zu haben, das ist schlichtweg unbeschreiblich! Und Zeit.
Es ist einfach zeitaufwendig, aus den Mustern herauszukommen. Es gibt einfach kein zuverlässiges »in 15 Minuten heraus aus der Angst« oder einen Schalter im Kopf, den einige dort immer zu vermuten scheinen, wenn sie so etwas sagen wie: »Du musst doch nur…« oder «Mach doch einfach…«. Das ist dann, als wenn jemand einen Querschnittsgelähmten auffordert, einfach aufzustehen und zu gehen. Es geht nicht, auch wenn er doch Beine hat, noch so sehr will und es ggf. mal konnte oder zumindest bei den Menschen um sich herum doch sieht, wie es theoretisch geht. Es geht nicht.
Ich muss mich meiner Angst entgegenstellen, sie entlarven und konkrete Maßnahmen gehen sie ergreifen. Das kostet Überwindung, Zeit und Energie; die mir dann oftmals woanders fehlen. Damit muss ich leben, aber auch mein Umfeld. Ich kann an der Angst an sich nicht viel ändern. Ich kann nur versuchen, wachsam zu sein und, noch wichtiger, diese irrationalen Ängste nur noch möglich selten aufkommen zu lassen. Das kann ich erreichen, indem ich bewusst lebe, mein Selbstwertgefühl grundsätzlich steigere und mich an meine Fähigkeiten gewöhne. Mein Therapeut sagt mir immer wieder, dass ich stolz auf mich sein kann und es auch sein soll. Das ist schwer für mich, aber ich arbeite daran; härter als manch einer glauben mag…
Ich hab etwas ähnliches…
Bei mir ist es sehr häufig so, dass ich mich in Gruppen ab 2 Leuten absolut nicht mehr wohlfühle. Da habe ich ähnliche Symptome: Mir wird schlecht, ich fühle mich niedergeschlagen und krank, kraftlos. Als würde mein Blutdruck richtig sinken.
Sobald ich mich auf den Heimweg mache (meistens passiert mir das in der Uni), geht es mir schon besser. Ich kann wieder aufatmen und fühle mich nicht “gezwungen”. Ich gehe extrem ungern überhaupt noch auf irgendwelche Veranstaltungen, bei denen mich jemand kennt. Mir fällt es leichter, allein ein Kino, Konzert oder eine Vorlesung zu besuchen, als umgeben von Kommilitonen oder Bekannten.
Ich muss aber dazu sagen, dass ich mich seit einem Jahr damit gar nicht mehr so schlecht fühle. Ich bin nicht unglücklich, wenn ich allein bin. Dann habe ich alles unter Kontrolle und fühle mich wohl, das merke ich. Ich habe gar nicht mehr das Bedürfnis das zu ändern. Ich weiß nur nicht, wie lange dieses Gefühl anhält.
Diese körperliche Erschöfpung die du beschreibst, spüre ich immer dann, wenn ich länger als 90 Minuten in einer Gruppe zusammen bin. Ich könnte dann drei Tage durchschlafen und mich verschanzen – was natürlich nicht geht, aber das Gefühl ist da.
Danke für diesen Artikel.