Ich bin ein in einer Gemeinschaft lebender Informatiker. Beides ist mir nicht unbedingt in den Schoss gefallen; und der zu beschreitende Weg, der mich dies heute resümieren lässt, war alles andere als geradlinig. Ich habe auf diesem Weg vieles kennen und oft auch schätzen gelernt, doch ist mein höchster Bildungsabschluss der eines Diplom-Informatikers und auch lebe ich heute in einer Kommune. Das bringt mich zu der Frage, was gerade diese beiden gemein haben? Warum Informatiker? Und warum Kommune?
Eigentlich war ich bis Mitte der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts auf bestem Wege Ingenieur zu werden. Mein Vordiplom im Fachbereich Energie- und Wärmetechnik hatte ich bereits in der Tasche. Dann passierten innerhalb weniger Monate ein paar entscheidende Dinge: Zunächst entdeckte ich das Internet, dann geriet ich in eine Protestwelle gegen untragbare Studienbedingungen und in deren Folge in eine verantwortliche Position der Studierendenvertretung meiner Fachhochschule. Für diese Aufgabe lies ich sogar mein Studium ruhen. Dieses Intermezzo gepaart mit der Erkenntnis, dass es mir leicht fiel mit dem Internet und am World Wide Web (WWW) zu arbeiten, lies mich dann kurzerhand mein Energie- und Wärmetechnik-Studium abbrechen und ein Informatik-Studium beginnen; als Mittel zum Zweck. Denn ich wollte nicht Informatiker werden, um klassische Software zu entwickeln, ich wollte das Internet mit weiterentwickeln. Somit war es, genau genommen, das Internet, dass mich die Energie aufbringen lies, ein Informatik-Studium abzuschließen.
Was haben also Internet und Kommune gemeinsam? Bei genauer Betrachtung Grundlegenderes als man zunächst denken mag. Eine Kommune ist eine Gemeinschaft. Der Duden definiert Gemeinschaft u.a. erstens als das Zusammensein, -leben in gegenseitiger Verbundenheit und zweitens als Gruppe von Personen, die durch gemeinsame Anschauungen o. Ä. untereinander verbunden sind. Hinzu kommt bei einer Kommune, dass diese Zusammenleben frei von Hierarchien sein soll. Denn Hierarchien sind meist mit Verhältnissen von Herrschaft und Autorität verbunden. Die Grundlage von Herrschaft ist Gehorsam, also prinzipiell das Befolgen von Geboten oder Verboten. In einem System von Herrschaft und Gehorsam sind die Menschen nicht frei und nicht gleich. Dabei heißt es in der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im ersten Artikel: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.«
Bei Betrachtung des Internet als ein Netzwerk von Netzwerken, welche, wie ihre Knotenpunkte, durch die Anwendung des Internetprotokolls (IP) untereinander verbunden sind, lassen sich durchaus Parallelen zu den Definitionen für Gemeinschaft ziehen. Jeder Knoten ist in einem solchen System im übertragenen Sinn selbst dafür verantwortlich, dass er an diesem weltweiten Netzwerk teilhaben kann. Ein genau definiertes Protokoll (TCP/IP) bildet dazu die Grundlage; und auf dieser einen Basis sind dann die vielen und vielfältigen Dinge möglich, wie sie für immer mehr Menschen tagtäglich nutzen, verrichten oder konsumieren. Beispiele hierfür sind das WWW, E-Mail, Telefonie oder Radio und Fernsehen.
Eine Gemeinschaft wie etwa eine Kommune ist vom Prinzip her auch eine Netzwerk von Menschen; die im Detail zum Teil sehr unterschiedliche Dinge tun können, aber in einem sich aufeinander beziehenden Rahmen. Damit dieser Rahmen bzw. das System nicht gesprengt wird, also stabil ist, muss das Zusammenspiel in einer solchen Gemeinschaft funktionieren. Dazu ist es hilfreich, dass grundlegende Absprachen getroffen werden, die sich in der Summe auch als Protokoll bezeichnen lassen können. Wie zuvor angedeutet, fehlt es einem System an Hierarchiefreiheit, bei dem diese Absprachen zentral oder von Außen überwacht werden. Daraus folgt, dass diese Absprachen von jedem Knoten des Netzwerks, also bei einer Gemeinschaft, von jedem Gruppenmitglied mitgetragen und im Zusammenwirken als Gruppe bzw. Gruppenbestandteil eingehalten werden müssen. Die Motivation einer Person, Teil eines Gemeinschaftsnetzwerks zu sein, muss somit intrinsisch sein; also ihrer selbst willen bzw. aus sich heraus. So sind dann auch im Rahmen einer solchen hierarchiefreien Gemeinschaft ebenfalls viele und vielfältige Dinge möglich.
Das Internetprotokoll bildet als technische Basis für die Teilhabe an den Diensten des Internets eine zentrale und wichtige Rolle, derer sich die wenigsten seiner Nutzenden im tägliche Umgang damit bewusst sind. Doch spielt es für den Vergleich von hierarchiefreien Gemeinschaften und IP-basierten Netzwerken nur eine untergeordnete Rolle, ob sich die Nutzer und Nutzerinnen bewusst sind, dass es so etwas wie ein Internetprotokoll gibt. Es ist diesbezüglich viel relevanter, dass die von ihnen genutzte Software, nur deshalb als Internet-Knotenpunkte funktionieren, weil sie von sich aus die Verabredung namens Internetprotokoll einhalten. Darauf sind sie programmiert. Andere Bezeichnungen für Programm sind Manifest bzw. Grundsatzerklärung.
Eine Grundsatzerklärung ist für eine hierarchiefrei lebende Gemeinschaft ebenso das Fundament gemeinsamen Zusammenlebens, wie das Internetprotokoll das Fundament für die Nutzung des Internets ist. Sie bildet grundlegende Absprachen ab, auf deren Einhaltung sich alle Gruppenmitglieder prinzipiell verlassen können und die sie unüberprüft von sich aus einhalten. Darauf muss sich jedes Mitglied verlassen können, damit sich alle Gruppenangehörigen vertrauen können. Durch von allen Mitgliedern intrinsisch gelebte Grundsätze bekommt die Gruppe Halt und die einzelnen Menschen Sicherheit. Weiter bilden sie in erster Linie das Fundament einer Gemeinschaft und können somit für den Alltag Richtschnur sein. Optimalerweise gibt eine Grundsatzerklärung als Fundament Halt und Sicherheit, ist jedoch als Richtschnur flexibel. D.h. wirklich Grundlegendes ist nicht leicht veränderbar; den Alltag prägen flexiblere Handhaben. Zusammen bilden Grundlagen und Handhaben einen verlässlichen, aber undogmatischen Rahmen für das Zusammenwirken von Gruppen.
Wichtig ist hierbei, dass jedes Gruppenmitglied aus freien Stücken Teil der Gemeinschaft und der internen und externen Prozesse ist. Die Teilnahme von einzelnen Menschen oder Untergruppen an Gruppenprozessen ist optimalerweise immer transparent. So wissen die anderen Mitglieder immer, wer aktuell gerade einem Prozess teilnimmt bzw. daran interessiert ist. Dies dient der Vertrautheit bzw. Verbundenheit, die als Basis für eine Zuverlässigkeit unabdingbar ist. Wissen alle an Gruppenprozessen Beteiligten um die intrinsische Motiviertheit der jeweils anderen, so ersetzt dieses Vertrauen Kontrolle. Hierarchiefreie Gemeinschaften werden also durch Vertrauen, Zuverlässigkeit und beiderseitig bewussten Zugehörigkeitswillen geprägt; und da es sich um eine Netzwerk von Menschen handelt, und nicht von Computersystemen, ist zudem gegenseitiges Wohlwollen von großer Bedeutung, damit ein undogmatisches und bedürfnisorientiertes Zusammenleben möglich ist.
Nach dieser näheren Betrachtung von Internet und Kommune, ist es bei all den gefundenen Parallelen nicht weiter verwunderlich, dass gerade diese beiden Themenkomplexe für mich von so großer Wichtigkeit geworden sind. Und dies sogar ohne die Entwicklung des Internets und der es weiterentwickelnden Internet Society als gemeinnützige Organisationsform anzuführen, welche erstaunlicherweise, trotz ihrer weltwirtschaftlichen Bedeutung, grundsätzlich erhalten werden konnte.
Als Abschluss dieser Betrachtungen möchte ich noch zwei Zitate anführen. Ersteres ist vom türkischer Dichter Nâzım Hikmet und das zweite wird Konfuzius zugeschrieben:
»Leben, einzeln und frei wie ein Baum, und geschwisterlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.«
»Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu machen.«
“Eine Kommune ist eine Gemeinschaft. Der Duden definiert Gemeinschaft u.a. erstens als das Zusammensein, -leben in gegenseitiger Verbundenheit und zweitens als Gruppe von Personen, die durch gemeinsame Anschauungen o. Ä. untereinander verbunden sind. Hinzu kommt bei einer Kommune, dass diese Zusammenleben frei von Hierarchien sein soll.”
Soviel zur Theorie.
Der Alltag jedoch gestaltet sich ungleich schwieriger. In einer Kommune zu leben war, nach meinem und dem Verständnis Vieler nicht nur eine Möglichkeit aus bekannten, alten, verkrustete Strukturen des Zusammenlebens auszubrechen, sondern es war gleichzeitig ein Möglichkeit, ein Experiment, ein Suchen eines neuen, unbekannten Weg des Zusammenlebens, des Miteinanders. Was wir wußten war wie wir nicht wollten, was wir hatten war eine Vorstellung das Miteinander sein könnte, sollte.
Was wir oder besser gesagt Viele nicht gewahr waren, war die Tatsache das wir durch die Erziehung unserer Eltern geprägt waren. Diese “Prägung – diese alten Muster die wir nicht mehr leben wollten” die sich in unserem Alltag, unserem Verhalten, unseren Handeln, Reden und Denken niederschlugen, die mußte man nicht nur erst einmal erkennen sondern man mußte sich gewah gewahr werden das wir viele diese Muster verinnerlicht hatten. Schon dies alleine ist ein schmerzhafter Prozess gewesen. Neue Wege des Miteinander – des Zusammenleben zu finden mußten, da es keine Vorgaben gab entdeckt werden. Die Entdeckungen waren da mitunter recht radikal wie auch banal. Stundenlanges diskutieren war wann den Müll nun runter trägt oder warum Mann ihn nicht runter getragen hat muten heute 40 Jahre später sehr skurril an. Damals waren sie aber Stimmbandschmerzend.
Kurz gesagt: Man kann nur das loslassen wenn man erkannt hat an, das man – an was man festhält.
MfG
Danke für den Kommentar. Ich bin mir nicht sicher, ob es dir bewusst ist, dass ich dies in einer Kommune geschrieben habe, dass ich also in einer solchen Gemeinschaft lebe.